Zehn Jahre nachdem Velvet Underground mit ihrer experimentellen Rockmusik, ihren einfachen, prägnanten Klängen und Rhythmen die Musik einer ganzen Genration von Nachwuchsmusikern nachhaltig geprägt hatten, gab es wieder so eine Rock- & Pop-Formation. Die Talking Heads veränderten die Musikszene Ende der siebziger Jahre nachhaltig. Ihr Auftreten und ihre Musik setzte sich gewaltig von Lou Reed und Kollegen ab, gemeinsam waren aber die bewusst einfachen Akkordfolgen und Rhythmen, die schnell ein Heer von Nachahmern fanden und der Verzicht auf den großen kommerziellen Erfolg. In den nächsten Wochen ist Talking Heads Sänger David Byrne auf großer Europatournee - mit neuen Songs, die er zusammen mit Brian Eno entwickelt hat. Hätte er doch besser geschwiegen und er wäre ein Großer geblieben.
Gestolpert bin ich über die Talking Heads irgend wann in den späten siebziger Jahren. Ein ehemaliger Mitbewohner, inzwischen Lehrer geworden, suchte im Tagblatt einen Drummer für seine Rockgruppe. Musikstil wie Talking Heads stand in der Anzeige. Wir besuchten natürlich deren ersten öffentlichen Auftritt und obwohl die Jungs, wie erwartet, einen grottenschlechten Auftritt hinlegten, hatten sie später einen gewissen Erfolg in der Region. Das machte mich dann neugierig auf das Original. Und wie der Zufall es wollte, brachte ein guter Bekannter ein paar Jahre später den Talking Heads Film „Stop Making Sense" von Jonathan Demme in die deutschen Kinos.
Talking Heads waren so etwas wie der Gegenentwurf zur damaligen ambitionierten Rockmusik. Keine langhaarigen und bärtigen Gammler, die bestimmt jede Art von Drogen schon eingeworfen hatten, die vier Musiker sahen aus und benahmen sich wie „normale" junge Leute, die irgendwo studierten. Und an der Rhode Island Schule für Design hatten sich drei der vier Bandmitglieder auch kennen gelernt. Talking Heads das waren David Byrne, Gitarre und Gesang, Chris Frantz, Schlagzeug, Tina Weymouth, Bass, und Jerry Harrison. Trotz ihrer Einfachheit richtete sich ihre Musik nie an ein Massenpublikum, Talking Heads war eher etwas für die intellektuelle Jugend. Einfache, aber überraschende Akkordfolgen, abrupte Tempowechsel, klirrende Gitarrenklänge, keine Improvisationen, Songtexte ohne Reime und dazu die nervend hohe Stimme von David Bayre, der sich oft wie ein wimmerndes Kleinkind anhörte, das machte den besonderen Musikstil der Talking Heads aus - Großstadtmusik, flirrend, hektisch, nervös und gejagt. Später mischten sich noch Funkelemente und afrikanische Polyrhythmen zum Konzept der Gruppe hinzu.
Der musikalische Höhepunkt der Band war sicher die Konzerttournee 1983 unter dem Titel „Stop Making Sense", die der Regisseur Jonathan Demme zu einem imposanten Konzertfilm gebündelt hat. David Byrne, der als Solist mit Gitarre die Bühne betritt, einen kleinen Kasettenrekorder als Rhythmusbox startet und dazu „Psychokiller" singt oder sein Auftritt in einem übergroßen Anzug, das waren Höhepunkte des Films, der das Kinopublikum so mit riss, dass die Zuschauer anfingen, in den Stuhlreihen zu tanzen.
Danach ging es bergab, auch wenn die Gruppe 1985 mit ihrem konventionellsten Album Little Creaturesnoch ihren größten kommerziellen Erfolg hatte. In den Neunzigern zerbrach dann die Gruppe, allen voran David Byrne ging getrennten Wegs und hat sich mit dem Rest der Mannschaft wohl heillos zerstritten.
Dafür hat er sich aktuell wieder mit Brain Eno (links) zusammen getan. Letzteres hatte zwischen 1978 und 82 drei Alben der Talking Heads produziert und galt als Motor des kommerziellen Durchbruchs der Gruppe. Die beiden haben 2008 das Album „Everything That Happens Will Happen Today" herausgegeben, mit dem Byrne sich jetzt auf großer Europatournee befindet. Start ist am 9. März in Düsseldorf, dann geht es zwei Monate lang durch ganz Europa. Mit dabei sind auch drei Tänzer, die das Konzert choreografisch unterstützen, im Hintergrund singt u.a. auch Jenny Muldaur, Tochter der großen amerikanischen Folk- und Bluessängerin Maria Muldaur.
Leider ist das Album kein Meilenstein in der künstlerischen Arbeit der beiden Musiker geworden. Gute Songtexte und ein routinierter Soundmix machen noch lange kein gutes Album aus. Der Platte fehlt jedwedes Flair, von der nervösen, flirrenden Atmosphäre der Talking Heads ist nichts geblieben und wurde auch durch nichts anderes ersetzt. Man hat das Gefühl, dass David Byrne mit seiner hohen Stimme jetzt unbedingt schön klingen möchte. Wenn er versucht besonders sanft in die Töne zu gleiten, wirkt er wie der Karel Gott aus der New Wave-Bewegung.
Die ersten beiden Songs „Home" und „My Big Nurse" hören sich etwa wie Bob Dylan Stücke an, die von einer Tanzkapelle intoniert wurden. Dazu singt Byrne mit seiner Falsettstimme merkwürdig ausdruckslos - so als würde er Wanderlieder vortragen. „I Feel My Stuff" versöhnt dann etwas, dürfte aber den Publikumsgeschmack eher verfehlen. Und mit „Everything That Happen..." fällt er dann gleich wieder in die Unsitte der ersten beiden Songs zurück. Obwohl der Song durchaus Potential besitzt und mit einem besser beratenen Sänger einen Höhepunkt des Albums darstellen könnte. „Live is Long" erinnert mich irgendwie an das Gesinge eines Tom Pettys. „The River" ist wieder so ein Trällerliedchen, von Byrne dahingeschmalzt. „Strange Overtones" klingt wie weich gespülte Talking Heads und schließlich „Wanted For Life" klingt wie Talking Heads ohne Weichspüler.
David Byrne & Brian Eno - home
„One Fine Day" ist eine missratene Hymne auf irgendwas - musikalisch und textlich -, deutet an, ohne je konkret zu werden. „Poor Boy" zeigt das Potential an, das die beiden Musiker eigentlich hätten, würden sie nicht ihre Zeit mit sinnloser Wohlfühlmusik verplempern. Und schließlich endet das Album mit „The Lighthouse" genau so enttäuschend, wie es angefangen hat.
David Byrne live - Live is long
Das Konzert in Frankfurt (14.03.) werde ich also nicht besuchen. Und wenn ich an jenem Samstag nichts besseres vorhabe, werde ich im Gedenken an die ollen Talking Heads noch einmal den Konzertfilm „Stop Making Sense" angucken. Das ist nicht nur wesentlich billiger, da lässt sich auch in angenehmen Erinnerungen schwelgen und hinterlässt keinen süßlichen Nachgeschmack von schaler Limonade.
David Byrne live - My big Nurse
Bildnachweis:
David Byrne, aufgenommen am 14. August 2008 von thomasbrandt
Brian Eno, aufgenommen am 26. Juni 2006 von Bungopolis
Beide Fotos sind unter einer Creative Commons Lizenz veröffentlicht!