>

                                         

Sonny Rollins Teil 1: Die kompletten Blue Note Aufnahmen

Mehr
22 Jahre 5 Monate her - 22 Jahre 2 Monate her #1458 von Kater Carlo
Der Account wurde gekickt. Bei Bedarf uppe ich die CDs neu.


Ich starte meine Sonny Rollins Serie mit den Platten die 1956-57 für Blue Note aufgenommen wurden. Die Studioproduktionen sind recht konventionell, doch die legendären Village Vanguard Auftritte haben das Saxophon-Trio ohne Piano auf neue Höhen gebracht. In dieser Besetzung kommt "Newk"'s markiger Ton besonders zur Geltung.

Ausser "Newk's Time" sind alle Platten in Mono aufgenommen, dort reicht LAME VBR 112kb/s für optimalen Klang aus.

Die Zugangsdaten für den Myplay-Account gibt es per PN. Ich gebe maximal 3 PNs pro Tag raus, es kann also etwas dauern doch niemand wird vergessen. Bitte saugt nur eine Datei auf einmal, das schützt vor zu hohem Traffic.


Sonny Rollins (1956)

allmusic.com/cg/amg.dll?p=amg&sql=A5wf6zfg7eh6k

Will sich Rollins bei seinem Einstand beim renommierten Blue Note-Label ultra-orthodox geben? Das Repertoire dieser LP ist jedenfalls wie aus dem HardBop-Bilderbuch: zwei Bluestitel, zwei 32taktige AABA-Formen, eine Ballade. Und tatsächlich wirkt einiges auf dieser Platte schematisch, floskelhaft, flüchtig - wie eben bei so vielen klassischen Blue Note-LPs die in den späten fünfziger Jahren entstanden. »Sonnysphere« nimmt ein dahinge-worfenes Allerweltsriff zum Vorwand einer weiteren Ausarbeitung der »l Got Rhythm«-Harmonien, und »Bluesnote« ist - wie könnte es anders sein - ein Blues in B, bei dem Rollins allein die ersten vier und die letzten zwei Themen-Takte auskomponiert hat. Aber es gibt doch Überraschungen im Detail. »Plain Jane« ist - darin »Oleo« ähnlich - ein rhythmisches Verwirrspiel im vertrauten AABA-Rahmen, ein Spiel der unvorhersehbaren rhythmischen Versetzung und intervallischen Variation eines einfachen Motivs. Und raffinierter noch ist »Decision«, ein dreizehntaktiger (!) Blues mit einem wiederkehrenden abrupten Tonwiederholungsmotiv, das Rollins zu ausgiebiger improvisatorischer Variation inspiriert. Ganz und gar abgedroschen wirkt dagegen anfangs die Schnulze »How Are Things In Glocca Morra« - aber dann merkt man, daß sie doch eine recht eigentümliche AA'B-Form mit jeweils acht, zehn und zwölf Takte langen Segmenten hat. Und Rollins Kunst der subtilen Paraphrasierung und Kommentierung populärer Melodien ist ohnehin immer wieder hörenswert. Trompeter Donald Byrd, durch ein Engagement bei Art Blakeys »Jazz Messengers« zu Prominenz gekommen, steuert überlegte Soli bei, ohne freilich seinem Nimbus als Clifford-Brown-Thronfolger gerecht werden zu können. Neben der unvergleichlich reichen klangfarblichen und artikulatorischen Palette von Rollins -von der kratzigen Stakkato-Schärfe von »Bluesnote« bis zur samtenen Legato-Wärme von »Glocca Morra« -wirkt allerdings auch fast jeder andere Bläser einigermaßen blaß.


Sonny Rollins Vol. 2 (1957)

allmusic.com/cg/amg.dll?p=amg&sql=A0s3gtq0zbu4p

Diese Platte wäre eine bloße Routineangelegenheit - Hard Bop im bewährten Blue-Note-Format, in erstklassiger Besetzung, doch ohne besondere Höhepunkte in Repertoire oder solistischer Erfindung -, wäre nicht für zwei Titel Rollins' Mentor Thelonious Monk dabei. Der steuert zum einen die interessantesten Stücke bei - den in sturer »gerader« (also nicht-swingender) Achtelbewegung und mit ebenso unbeirrbaren Sextsprüngen fortschreitenden Blues »Misterioso« und die einfühlsame Ballade »Reflections«, die Rollins zu einem Meisterstück themenbezogener Improvisation inspiriert - und läßt zum anderen »Misterioso« (in dem er sich am Klavier mit Horace Silver abwechselt) zur faszinierenden Demonstration pianistischer Stilkontraste werden. Während Silver die rudimentären Bluesharmonien als Folie zeittypischer funky-Klischees nutzt, spielt Monk mit charakteristischer Beharrlichkeit mit den Mosaiksteinen des Themas.


Newk's Time (1957)

allmusic.com/cg/amg.dll?p=amg&sql=Arv6jtr7lkl4x

Das klassische Bebop-Quartett-Format hatte Rollins auf Schallplatte seit »The Sound Of Sonny« gemieden. »Newk's Time«, Rollins letzte Blue Note-LP, markiert aber weniger eine Rückkehr als, wie Jack Cooke formulierte, »einen förmlichen Abschied von der New Yorker Hardßop-Schule, aus der er hervorging und über die er nun rasch hinauswuchs« (Cooke [1986]). Erst 1962 sollte Rollins wieder ein Plattenstudio an der Ostküste betreten (»The Bridge«). So dokumentiert »Newk's Time« Rollins' Souveränität im standardisierten Quartett-Kontext, zieht Bilanz des Erreichten, ohne Neues, Überraschendes anzudeuten. Nicht, daß diese Produktion entbehrlich wäre. Dazu bietet sie zu viele hörenswerte Details: So die klug kalkulierten Metrum- und Tempowechsel in Kenny Dorhams »Asiatic Raes« und die Saxophon-Schlagzeug-Besetzung von »The Surrey With The Fringe On Top« - meines Wissens eine diskographische Premiere, Jahre bevor solche aufs Melodische und Rhythmische polarisierten Duos durch John Coltrane popularisiert wurden. Der »Blues For Philly Joe« schließlich - die einzige Rollins-Komposition dieser LP - bietet ein besonders überzeugendes Beispiel motivisch-thematisch stringenter Saxophonimprovisation und steht darin durchaus gleichgewichtig neben dem vielgerühmten »Blue Seven« von »Saxophone Colossus«.

A Night at the Village Vanguard (1957, 2CD, aus der remasterten Rudy Van Gelder Serie)

allmusic.com/cg/amg.dll?p=amg&sql=Apx3tk65xekrg

Das Saxophon-Baß-Schlagzeug-Trio hat er vielleicht nicht erfunden. Aber Maßstäbe hat Rollins gesetzt, an denen sich bis heute derart besetzte Formationen messen lassen müssen -und das zumal mit den Village Vanguard-Aufnahmen.Rollins' erste offizielle live-LP (zugleich der erste Plattenmitschnitt aus Max Gordons berühmtem Jazzclub) ist genau das, was ein früherer Plattentitel verheißt: eine tour de force. Über zwei Stunden Musik enthalten die beiden Blue Note-Veröffentlichungen, zwei Stunden konzentrierte und hochgespannte Trio-Improvisation, die zumal dem Saxophonisten fast Übermenschliches an musikalischer Erfindung wie physischem Einsatz abverlangen. Das Repertoire ist kaum bemerkenswert. Vielgespielte Standards überwiegen; auch die beiden Rollins-Kompositionen variieren nur vertraute Vorlagen (»Striver's Row« ist - wieder einmal - eine themenlose Version von Parkers »Confirmation«, »Sonnymoon For Two« ein riff-grundierter Blues in B). Trotzdem leben die Aufnahmen vom Geist des Experiments, von Spontaneität, Unberechenbarkeit.

Unberechenbar hatte sich Rollins bereits während der Vorbereitungen zu diesem live-Mitschnitt gezeigt. Hatte er sein Gastspiel im Village Vanguard mit einem Quintett angetreten, so entließ er nach einer Woche den Trompeter - dessen Schicksal bald darauf der Pianist teilte. Aber nicht einmal das so herausdestillierte Trio hatte Bestand: Als die Aufnahmen bereits im Gange waren, kam Rollins zu dem Entschluß, Baß und Schlagzeug neu zu besetzen. So sind in zwei -vermutlich am Nachmittag des 3. November aufgezeichneten - Titeln Donald Bailey und Pete LaRoca, in allen übrigen Wilbur Ware und Elvin Jones zu hören. Und unberechenbar ist, was Rollins mit den bekannten Vorlagen anstellt. Gerade der Vergleich der in zwei Versionen festgehaltenen Titel führt das vor Augen: Ist die »Night In Tunisia«-Fassung mit Bailey und LaRoca schnell und hektisch, etwas holprig in der Polyrhythmik der A-Teile (vielleicht ein Grund für Rollins' Unzufriedenheit mit diesen sidemen), so wird das Stück später am Abend viel langsamer angegangen, dafür aber mit einer langen, dramatischen Saxophon-Schlußkadenz gekrönt. Und die beiden takes von Wilbur Wares Feature-Nummer »Softly, As In A Morning Sunrise« unterscheiden sich nicht nur in Tempo und Soloreihenfolge (die Version auf »More From The Vanguard« ist langsamer und enthält gleich zwei Baß-Soli), sondern auch in Rollins' Umgang mit dem Thema: In der »More From The Vanguard«-Fassung dehnt Rollins die Töne so zäh und träge, versieht sie mit in der Tiefe verendeten Abwärtsschlenkern, als wolle er sich über das schlichte Thema lustig machen. Und ähnlich launisch geht er mit den übrigen komponierten Vorgaben um. Notengetreu ist da fast nichts. Die Phrasen werden mal ziehharmonikaartig verbogen, mal auf ihre Kernintervalle reduziert, dann wieder zu hüpfenden Staccato-Punkten komprimiert - anything goes, wenn Rollins es will. Und auch die Soli atmen diesen Entdeckergeist, diese Freude am analytischen Durchspielen des im Komponierten Angelegten. Das »Sonnymoon For Two«-Riff umschreibt eine fallende Quinte - also isoliert Rollins den Quintfall F-B und spürt drei Chorusse lang nur den rhythmischen Varianten der beiden Töne nach. Ähnlich in »Woody'N You«, wo einzelne Intervalle oder Intervallfolgen herauspräpariert und variiert werden. Mit solchen Techniken erreicht Rollins eine improvisatorische Stringenz, eine Kohärenz zudem von Thema und Solo, die man bei vielen seiner Zeitgenossen vergeblich sucht. Und wo das im Thema Enthaltene erschöpft ist, wird einfach anderes herbeizitiert: so im vorletzten Chorus von »Woody'N You«, über den Rollins einfach den - aufs halbe Tempo gestreckten - Melodieanfang von »You Are Too Beautiful« legt... Kurz: Jene Nacht im Village Vanguard zeigt einen gleichermaßen virtuosen, spontanen, strukturbewußten, expressiven, humorvollen Rollins - eben den klassischen Rollins vor dem bridge-lntermezzo. Und dazu einen Rollins, der mit Wilbur Ware und Elvin Jones von einem der druckvollsten und einfallsreichsten Rhythmusgespanne der Zeit unterstützt wird. Anmerkung: Auf den beiden (A Night At The Village Vanguard Vol.1 und Vol. 2 betitelten) CDs wurde das Material der drei LPs neu zusammengestellt - zunächst die Titel von der Nachmittags-Session mit Bailey und LaRoca, dann die am gleichen Abend aufgezeichneten mit Ware und Jones.

(Rezensionen aus dem Buch von Peter Niklas Wilson: Sonny Rollins - Sein Leben, seine Musik, seine Schallplatten (Oreos Verlag 1991))

Carlo
Letzte Änderung: 22 Jahre 2 Monate her von Kater Carlo.

Bitte Anmelden um der Konversation beizutreten.

Moderatoren: CharNodeSilberdistelloggejuke_boxcntrMorPHeus
Zum Seitenanfang