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Soulseek bei de:bug

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21 Jahre 8 Monate her #11562 von cntr
Soulseek bei de:bug wurde erstellt von cntr
Soulseek
Peer to Peer für elektronische Musik


Lange Zeit war Audiogalaxy die Tauschbörse für elektronische Musik schlechthin. Obskure Remixe? Rare DJ-Sets? Bootymania? Hier gab es alles. Doch vor rund einem Jahr tauchte dann plötzlich Soulseek auf der Bildfläche auf. Eine Tauschbörse nur für elektronische Musik. Und nur für Windows-PCs. Konnte das gut gehen? Oder würden die Trance-Heinis alles zuspammen?
Bald stellte sich heraus: Es ging gut. Extrem gut sogar. Ein handverlesener Haufen von Filesharing-Freunden mit extrem gutem Geschmack, eine gut gemachte Software, keine Banner, keine Spyware, eine geballte Portion Idealismus. Und Nir Arbel, der Soulseek-Mastermind. Nir arbeitete bis Mitte letzten Jahres bei Napster und mischte nebenbei auf der IDM-Mailingliste mit. Irgendwann war ihm klar, dass Napster keine Zukunft haben würde und er begann neben seinem Job mit einem eigenen Projekt. Einfach nur, um ein paar Ideen auszuprobieren. Dann verließ er Napster, bastelte weiter, gab dem Ganzen eine Website. Soulseek war geboren.

Nir: Napster behauptete immer, eine Community zu sein, aber das stimmte nicht. Wenn du dir das Napster-Design anschaust, wirst du feststellen, dass die ursprünglichen Programmierer tatsächlich eine Community schaffen wollten. Insbesondere durch das Chat-System. Aber als Napster immer größer wurde, ließ man diese Features unter den Tisch fallen, um mehr Nutzer akzeptieren zu können. Die Tatsache, dass sie schließlich um die hundert verschiedene Server hatten, war für den Community-Aspekt auch nicht gerade hilfreich.

Debug: Auf welchen Tauschbörsen hast du dich als Nutzer wohler gefühlt?
Nir: Ich mag Audiogalaxys Design sehr. Features wie die Artist-bezogenen Clubs oder die Möglichkeit, Kommentare zu Tracks zu schreiben. Das ist extrem Community-orientiert. KaZaA ist ein technologisches Wunder, aber die Community-Features sind noch schlechter als bei Napster.

Debug: Wie groß ist die Soulseek-Community denn heute?
Nir: Ich schätze, dass wir derzeit rund 10.000 aktive Nutzer haben, online sind meist 1500-2000. Ich glaube, wir verlieren unglaublich viele Nutzer durch die ständige Weiterentwicklung, das Testen und Patchen des Systems. Es ist dadurch für die Nutzer einfach nicht so verlässlich. Das ist der Preis, den wir fürs kontinuierliche Experimentieren und Ausprobieren neuer Ideen bezahlen, aber das ist vollkommen okay. Ich glaube, der jetzige Server könnte 10-20 mal so viel Nutzer aushalten.

Debug: Und was sagen Musiker und Plattenfirmen zu Soulseek?
Nir: Die meisten von ihnen wissen entweder nichts von Soulseek oder sie kümmern sich nicht darum. Bisher hat noch kein einziger richtig dazu Stellung bezogen. Einmal haben wir einen höflichen Brief von Warp bekommen mit der Bitte, bestimmte Tracks herauszufiltern, aber das war's.

Debug: Was hast du darauf geantwortet?
Nir: Ich hab ihnen erklärt, dass es technisch nicht möglich ist, weil der Server sich nicht um die Suchanfragen kümmert. Aber auch, dass wir eine sehr kleine und sehr spezialisierte Filesharing Community sind. Dass es uns eher darum geht, uns gegenseitig über neue Musik zu informieren, als Musik zu stehlen, die wir sonst kaufen würden.
Damals nagte dieser Verdacht an mir, dass dies nicht stimmt. Also hab ich die Leute in unserem Messageboard mit einem Poll gefragt. Es sieht so aus, dass fast alle von uns genau so viel oder mehr Musik kaufen wie vor Soulseek. Eine kleine Minderheit kauft weniger. Das hat mich darin bestärkt, dass wir dem Genre helfen. Ich hoffe, Labels für elektronische Musik und ihre Musiker können das anerkennen.

Debug: Wie können Labels beziehungsweise Musiker denn ganz konkret von Soulseek profitieren?
Nir: Indem sie verstehen, dass die Fans elektronischer Musik sich sehr von den meisten anderen Musik-Fans unterscheiden. Ich bin nicht überrascht, dass die RIAA sich Sorgen macht, wenn die letzte N'SYNC-Platte in Tauschbörsen auftaucht. N'SYNC-Fans haben oft nicht die Loyalität gegenüber N'SYNC, die du oder ich gegenüber Aphex Twin oder Plaid haben. Auch, weil sie wissen, dass N'SYNC nicht pleite geht, wenn sie die Platte nicht kaufen. Aber auch davon abgesehen haben wir eine viel größere Loyalität als der normale Fan. Wenn wir neue Musik kennen lernen, werden wir sie sehr viel wahrscheinlicher auch kaufen. Deshalb sollten Labels für elektronische Musik und ihre Artists sich darauf konzentrieren, Leute mit ihrer Musik bekannt zu machen, anstatt sie daran zu hindern, das Zeug online zu bekommen.

Debug: Kannst du dir auch vorstellen, mit Labels zu Promo-Zwecken zu kooperieren?
Nir: Das mag ein bisschen übertrieben sein. Ein Label wie Warp mag anerkennen, wie nützlich etwas wie Soulseek für sie ist. Aber sie werden es wahrscheinlich nicht offen billigen, da sie Angst davor haben, dass der Konsument dies als ein Okay dafür verstehen könnte, ihre Musik nicht zu kaufen. Es ist viel wahrscheinlicher, dass unabhängige Musiker es als einen Weg entdecken, ihre Musik zu promoten.

Debug: Kannst du uns etwas mehr über die Architektur von Soulseek erzählen?
Nir: Klar, aber ich kann nicht versprechen, dass sie noch die gleiche ist, wenn dieses Interview in den Druck geht. Durch die Arbeit bei Napster hab ich viel über die Stärken und Schwächen von Systemen mit zentralen Servern gelernt. Als dezentrale Netzwerke alltagstauglicher wurden, habe ich sie mir angeschaut, um Soulseek skalierbarer zu machen. Soulseek ist heute ein Hybrid aus zentralem und dezentralem Netzwerk. Das heißt zwar, dass man uns genau so einfach dicht machen kann wie Napster. Aber ein Soulseek-Server skaliert sehr viel besser als ein Napster-Server. Außerdem haben wir Features, die nur in einem zentralisierten System möglich sind, wie etwa die Chaträume und das Empfehlungs-System.

Debug: Wie muss man sich diese Arbeitsteilung zwischen zentralem Server und dezentralem Netzwerk genau vorstellen?
Nir: Soulseek arbeitet mit zwei verschiedenen, fast vollkommen getrennten Netzwerken. Das zentrale Netzwerk, in dem jeder Nutzer mit dem Server verbunden ist. Und das dezentrale, in dem der Server als Top-Node operiert, aber fast jeder Nutzer mit einem anderen Nutzer verbunden ist. Dieses dezentrale Netzwerk übernimmt die Suchanfragen und hat sehr viel mehr Ähnlichkeiten mit KaZaA als mit Gnutella.

Debug: Wie sieht deiner Meinung nach die Zukunft des Musikmarkts für elektronische Musik aus?
Nir: Es wird immer noch in großen Zügen auf dem Modell basieren, das wir jetzt haben. Einfach, weil es so gut funktioniert. Ich glaube nicht, dass wir jemals einen Zeitpunkt haben werden, an dem die Leute all ihre Musik online bekommen, wenigstens nicht in naher Zukunft. Die Leute wollen ihre Musik als etwas Greifbares. Sie wollen die Möglichkeit haben, eine Platte in der Hand zu halten, sich das Artwork anzuschauen, sie ins Regal zu stellen, Platz damit zu verschwenden. Die Art und Weise, wie Leute Besitz wahrnehmen, wird sich nicht ändern. Ich sehe Online-Musikdistribution Seite an Seite mit dem traditionellen Modell, Alben zu verkaufen. Es hilft, ist aber gleichzeitig davon losgelöst. Jeder profitiert davon.

Debug: Und was planst du für Soulseeks Zukunft?
Nir: Absolut gar nichts. Derzeit genieße ich es als Plattform zum Lernen und Experimentieren. Vielleicht werden wir irgendwann verklagt, oder vielleicht hab ich auch einfach irgendwann keine Lust mehr.

Debug: Was würde denn passieren, wenn jemand gegen Soulseek klagt?
Nir: Ich würde aufgeben und den Source Code veröffentlichen.


Text von: Janko Roettgers | Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
aus: DB 61

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