Keine Musik schwankte so sehr zwischen den Extremen: Volkslied, Marsch oder akustische Apokalypse - in seinem Klangkosmos war alles möglich. Mit seinen furiosen Instrumental- Glossolalien und seinen pathosschwangeren Balladen avancierte Ayler zum radikalsten der Free-Jazz-Expressionisten der sechziger Jahre.
Was Albert Ayler sagte...
„Versucht niemals herauszufinden, was geschieht, denn dadurch würdet Ihr
niemals die wahre Botschaft erfahren." (1967)
„Ich versuche mehr Form in die freie Musik zu bringen. Außerdem möchte ich etwas spielen, was die Leute mitsummen können, so etwas wie den Anfang von Ghosts. Ich spiele auch gerne Lieder, wie ich sie gesungen habe, als ich noch ganz klein war, Volkslieder, die von allen Völkern verstanden werden. Ich verwende diese Themen als Ausgangspunkt und bringe dann im Laufe des Stückes weitere Melodien ein: von sehr einfachen Melodielinien hin zu komplizierteren Texturen und dann wieder zurück zur Einfachheit und schließlich erneut zu den dichteren und komplexeren Klängen" (1966)
„Wir spielen Volkslieder aus der ganzen Welt.... Wie zum Beispiel ganz ganz alte Melodien, aus Zeiten lange bevor ich geboren wurde." (1967)
„Menschen amerikanischer Mentalität hören der Musik einfach nicht mehr zu, und darum muß ich hier weg, genauso wie 1964, als ich mit Don Cherry nach Europa ging." (1966)
„Ich halte es für eine sehr gute Sache, daß sich die Schwarzen in diesem Land der Stärke des Schwarzseins bewußt werden. Sie beginnen zu verstehen, wer sie sind. Sie fangen an, sich Respekt zu verschaffen. Daß bedeutet eine wunderbare Entwicklung für mich, denn ich spiele ihre Leiden, ob sie es nun wissen oder
nicht." (l966)
„Wenn die Musik sich ändert, verändern sich auch die Menschen. Die Revolution im Jazz ereignete sich vor langer Zeit... Die Musik, die wir heute spielen, wird den Menschen helfen, sich selbst besser kennenzulernen und leichter inneren Frieden zu finden. Wir alle brauchen Inspiration. Sie kann aus einem Wort kommen, aus einem Absatz in einem Buch, einem Gemälde, einem Gedicht, einem Lied. Kurz: aus vielen verschiedenen Dingen. Aber tatsächlich passiert überhaupt nichts, wenn man nicht bereit ist." (1965)
Zitiert nach Ekkehard Jost: Free Jazz, Wien 1975 und Peter Niklas Wilson: Spirits Rejoice. Albert Ayler und seine Botschaft, Hofheim 1996
Albert Ayler - Lörrach/Paris 1966
(hatART)
allmusic.com/cg/amg.dll?p=amg&sql=Aabb1z82a8yv8
"Die Musik des Tenorsaxofonisten Albert Ayler und seines Bruders Donald dürfte auch heute noch die Free-Music-Gemeinde spalten, von der Ablehnung durch die Hardcore-Jazzer ganz zu schweigen. Während Ornette Coleman mit seinem harmolodischen Konzept zu immer klareren abstrakten Linienführungen vordrang und Cecil Taylor virtuose Komplexität bis an die Grenze durchschaubarer Wahrnehmbarkeit steigerte, war andererseits ein John Coltrane mit Pharoah Sanders zu kraftvoll hymnenhaftem Diskurs aufgebrochen, der sich linear über eine vom Beat zum Puls geöffneten Rhythmik vollzog.
Die Ayler Brüder dagegen zelebrierten eine andere Spiritualität. Riffartige fanfarenhafte Motive, die explizit auf die kreolische Tradition New Orleans zurückgriffen, wurden in freier Kollektivimprovisation mit vor hymnischer Ekstase fast berstendem Ton in immer neuen versetzten Wiederholungen vorgetragen. Dazu spielten Bass und Schlagzeug auf diesen Mono-Funk- Mitschnitten von Lörrach und Paris einen brodelnden Untergrund, der sich weitgehend zusammensetzte aus Bogen- Aktionen am Bass und etwas hölzern wirkenden Befreiungsversuchen des Schlagzeugs vom stampfenden Marschrhythmus. Die Aufnahmetechnik bei beiden Konzerten benachteiligt dazu den Drummer, sein Sound wird in einen dumpfen Brei eingedickt.
Zur kollektiven Antiphonik der Bläser spielt der klassisch geschulte Geiger Michel Samson eine Art minimalistisches Continuo im Diskant. In der Zeit, da sich die Jugend Frankreichs anschickte, aus den bourgeoisen Zwängen kollektiv auszubrechen, wirkte diese Form des Musikmachens wie der Ausdruck des schieren erträumten élan vital. Die begeisterte Rezeption war ihr sicher. Ältere Semester sprachen von "einer Heilsarmee- Kapelle auf dem LSD-Trip."
Wer sich ganz unvoreingenommen dieser Musik öffnet, hat vielleicht doch die Chance, dass ihm widerfahren möge, was einer der Titel aussagt: Spirits Rejoice. Ein anderer Titel thematisiert die Hybris, die man in dieser Musik auch finden mag: Spiritual Rebirth."
rondomagazin.de/jazz/a/ayler/aa01.htm
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